Ich habe in den letzten Jahren Dutzende kommunale App-Projekte begleitet und eine erschreckende Beobachtung gemacht: Was auf dem Papier nach digitaler Freiheit klingt, wird in der Realität oft zum kostspieligen Grab für gute Ideen.
Die Open-Source-Illusion im öffentlichen Sektor und die Herausforderungen für kommunale Open Source-Apps
Die Grundidee klingt zunächst bestechend: Open-Source-Software verspricht Transparenz, Unabhängigkeit von Monopolen und die Möglichkeit zur Weiterentwicklung durch eine Community engagierter Entwickler. Laut einer BITKOM-Studie setzen bereits 59% der befragten Behörden auf solche Open Source-Lösungen.
Aber warum funktioniert dann so vieles nicht?
Dennoch gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtlich der langfristigen Nachhaltigkeit von kommunalen Open Source-Projekten.
Als ich kürzlich mit dem IT-Leiter einer mittelgroßen Stadt sprach, brachte er es auf den Punkt: „Die Vorstellung, dass wir eine App aus Fördermitteln entwickeln und dann eine Open-Source-Community diese weiterentwickelt, ist ein schöner Traum – aber weit entfernt von der Realität.“
Die drei tödlichen Fallen kommunaler App-Projekte
Nach meiner Erfahrung scheitern diese Projekte vor allem an drei fundamentalen Problemen:
1. Die Förderlogik konterkariert Nachhaltigkeit
Open-Source-Projekte im öffentlichen Sektor sind oft an Förderzeiträume gebunden. Das typische Muster: Geld für die Entwicklung ist vorhanden, nicht aber für den langfristigen Betrieb.
Ein Projektleiter, mit dem ich zusammengearbeitet habe, formulierte es so: „Nach Projektende bricht das Kartenhaus zusammen. Die Entwickler sind weg, das Wissen ist weg, das Geld ist weg. Zurück bleibt eine digitalisiertere, aber nicht unbedingt bessere Verwaltung.“
2. Der Entwicklermarkt spielt nicht mit
Ein oft übersehenes Problem: Deutschland leidet unter einem eklatanten Fachkräftemangel im IT-Bereich. Gute Entwickler können sich ihre Projekte aussuchen – und wählen selten komplexe, unterbezahlte öffentliche Aufträge mit Maintenance-Verpflichtungen.
Ich habe erlebt, wie Kommunen verzweifelt nach Entwicklern suchten, die bereit waren, in eine bestehende, schlecht dokumentierte Open-Source-Lösung einzusteigen. Die wenigen verfügbaren Entwickler verlangten verständlicherweise hohe Risikoaufschläge – die wiederum das Budget sprengten.
3. Die Community-Illusion
Der größte Trugschluss ist die Vorstellung einer aktiven Entwickler-Community, die aus reinem Idealismus an Verwaltungs-Apps weiterarbeitet. Die Realität sieht anders aus: Während bekannte Open-Source-Projekte wie Linux oder WordPress von Tausenden Entwicklern getragen werden, interessieren sich für die „Mein-Stadt-XY“-App kaum Entwickler ohne monetäre Anreize.
„Das Interesse an einer Weiterentwicklung unserer App war gleich null“, berichtete mir der Digitalisierungsbeauftragte einer süddeutschen Kommune. „Wir hatten gehofft, dass zumindest lokale IT-Unternehmen einsteigen würden, aber die sahen keinen Mehrwert darin.“
Ein Beispiel aus der Praxis
Eine Stadtverwaltung kontaktierte mich kürzlich mit der Bitte, eine vor drei Jahren entwickelte App zu „retten“. Die App war Teil eines geförderten Digitalisierungsprojekts, funktionierte aber nach einem Betriebssystem-Update nicht mehr. Der ursprüngliche Entwickler war nicht mehr erreichbar, der Quellcode zwar vorhanden, aber unzureichend dokumentiert.
Diese Situation ist typisch und zeigt das fundamentale Problem: Open Source ist nicht gleichbedeutend mit „kostenfrei“ oder „wartungsfrei“. Es verlagert lediglich die Kosten von der Anschaffung in die Wartung – ein Aspekt, der in öffentlichen Budgets oft nicht berücksichtigt wird.
No-Code als zukunftsfähige Alternative
Angesichts dieser ernüchternden Erfahrungen stellt sich die Frage: Gibt es bessere Alternativen für den öffentlichen Sektor?
Ich bin überzeugt: Ja, die gibt es. Der vielversprechendste Ansatz liegt im Bereich der No-Code-Plattformen – Systeme, die die Erstellung und Pflege von Apps ohne tiefgreifende Programmierkenntnisse ermöglichen.
Die Vorteile dieses Ansatzes für Kommunen und öffentliche Einrichtungen liegen auf der Hand:
- Reduzierte Abhängigkeit von knappen Entwicklerressourcen: No-Code-Plattformen ermöglichen es den Mitarbeitern der Verwaltung selbst, Anpassungen vorzunehmen.
- Nachhaltige Finanzierbarkeit: Statt hoher Einmalkosten für Entwicklung entstehen transparente, planbare Betriebskosten.
- Schnellere Implementierung: Während klassische Entwicklungsprojekte oft Jahre dauern, können No-Code-Lösungen in Wochen oder Monaten einsatzbereit sein.
- Geringeres Projektrisiko: Die schrittweise Implementierung reduziert die Gefahr von Totalausfällen oder Projektabbrüchen.
Nehmen wir das Beispiel einer mittelgroßen Kommune, die einen digitalen Mängelmelder einführen möchte. Der klassische Weg wäre die Ausschreibung eines Entwicklungsprojekts mit allen bekannten Risiken. Mit einer No-Code-Plattform hingegen könnte die Verwaltung selbst innerhalb weniger Tage einen funktionsfähigen Prototypen erstellen, testen und iterativ verbessern.
Ein Weg nach vorn: Fünf konkrete Empfehlungen
Was können Entscheidungsträger im öffentlichen Sektor also tun, um nicht in die Open-Source-Falle zu tappen? Hier sind fünf konkrete Empfehlungen:
1. Fokussieren Sie auf Wartbarkeit statt Einmalkosten
Stellen Sie die kritische Frage: Wer wird diese Lösung in drei, fünf oder zehn Jahren betreuen? Planen Sie von Anfang an Ressourcen für die langfristige Pflege ein. Eine Lösung, die kurzfristig teurer erscheint, aber langfristig wartbar ist, erweist sich fast immer als die wirtschaftlichere Option.
2. Erwägen Sie No-Code-Plattformen
Prüfen Sie, ob moderne No-Code-Plattformen Ihre Anforderungen erfüllen können. Diese Systeme können von Fachabteilungen selbst gewartet werden und reduzieren die Abhängigkeit von externen Entwicklern drastisch.
3. Schätzen Sie das Entwickler-Ökosystem realistisch ein
Seien Sie ehrlich: Wird Ihre City-App tatsächlich eine aktive Community anziehen? Falls nicht, planen Sie entsprechend und verlassen Sie sich nicht auf hypothetisches Community-Engagement.
4. Denken Sie in Produkten, nicht in Projekten
Digitale Lösungen sind keine Einmalprojekte, sondern kontinuierlich zu pflegende Produkte. Richten Sie Ihre Organisationsstruktur und Budgetplanung danach aus.
5. Teilen Sie Erfahrungen – auch negative
Der öffentliche Sektor könnte enorm vom offenen Austausch über gescheiterte Digitalisierungsprojekte profitieren. Leider werden Misserfolge oft verschwiegen, wodurch andere Kommunen die gleichen Fehler wiederholen.
Ein Plädoyer für digitalen Realismus
Wenn ich auf meine Erfahrungen mit Digitalisierungsprojekten im öffentlichen Bereich zurückblicke, wird ein Muster deutlich: Es mangelt nicht an guten Ideen oder Initiative. Es fehlt an Realismus bezüglich der langfristigen Implikationen.
Digitalisierung im öffentlichen Sektor muss sich von der Förderlogik emanzipieren und einen produktorientierten, langfristigen Ansatz verfolgen. Moderne No-Code-Plattformen können dabei eine Schlüsselrolle spielen, indem sie die Technologielücke zwischen IT-Spezialisten und Fachanwendern überbrücken.
Der Weg zu wirklich erfolgreichen digitalen Lösungen im öffentlichen Bereich beginnt mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme der Ressourcen, Fähigkeiten und Grenzen. Nur wenn wir die Open-Source-Illusion überwinden und realistische, langfristig tragfähige Konzepte entwickeln, werden öffentliche Gelder sinnvoll in die digitale Zukunft investiert.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns eingestehen: Der „König Open Source“ trägt manchmal keine Kleider. Und diese Erkenntnis ist nicht das Ende, sondern der Anfang einer ehrlicheren, nachhaltigeren digitalen Transformation im öffentlichen Sektor.
Fazit: Eine neue digitale Strategie für Kommunen
Die digitale Transformation des öffentlichen Sektors ist zu wichtig, um sie dem Zufall oder überholten Konzepten zu überlassen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – weg von kurzfristigen Förderprojekten, hin zu nachhaltigen digitalen Ökosystemen.
Die Zukunft liegt in flexiblen, wartungsarmen Lösungen, die von den Fachabteilungen selbst angepasst werden können. No-Code-Plattformen bieten hier enorme Chancen, die technologische Kluft zu überbrücken und digitale Lösungen zu demokratisieren.
Letztendlich geht es nicht um Technologieentscheidungen, sondern um eine fundamentale Frage: Wie können wir öffentliche Mittel so einsetzen, dass sie langfristigen digitalen Mehrwert schaffen? Die Antwort liegt nicht in immer größeren Förderbeträgen, sondern in klügeren, nachhaltigeren Digitalisierungsstrategien.
Die Zeit ist reif für einen digitalen Realismus im öffentlichen Sektor – für Lösungen, die nicht nur auf dem Papier beeindrucken, sondern im Alltag funktionieren und sich weiterentwickeln können. Nur so wird die digitale Transformation unserer Kommunen gelingen.